Lieber Hr von Beaullieu!
Wie Sie wissen, fällt es mir so schwer, deutsche Briefe zu schreiben, und darum wird es immer aufgeschoben mit den Schreiben, aber die lieben Freunde in Deutschland sind immer so
lebendig in meiner Erinnerung, ich fühle bisweilen mehr
Sehnsucht nach dem Land und den Geliebten da. Jetzt ist
bald ein Jahr vergangen, seit ich in Weimar war, seit ich
so viel Gute und Freundschaft von Ihnen empfing; o ich
habe immer lebhaft und innig an [overstr.: Ihnen] Sie gedacht, und ich
denke daran, und ich freue mich daran, Sie wiederzusehen,
Ihnen die Hand zu reichen und zu sagen, wie Lebhaft ich
Ihre Freundschaft für mich fühle, ich freue mich daran, [overstr.: daß ich]
Ihnen eine neue Samlung Mährchen, in eine guten Uebersetzung
bringen zu können und viel aus meinem eigenen
Lebens-Mährchen erzählen zu können. Der letzte Winter
in Dänemark war so schön, so echt nordisch, der Sund, vier
deutsche Meilen, war wie ein großer Eisfeld und Schweden
und Dänen, zu Fuß und auf Schlitten machten einander Wesitten;
ich fühle mich so lebensfroh, meine Muse war verschwenderisch mit Mährchen, Lieder und dramatische Sachen; mein
Mährchen-Komedie "Die Glücks Blume" ging gut über die Bühne
und mit alle meine Arbeiten hatte ich Anerkennung und
Freude wie nie früher. Mit den neuen Mährchen "Tannenbaum"
und 2die Schneeköniginn", habe ich Heibrg gewonnen;
ein Glücksstern steht über mich und meine Schriften, der
Improvisator ist jetzt in Russisch, Hollandisch und Englisch übertragen,
und macht Glück; ich habe mehrere englischen
Journäle durchgelesen, und fühle mich überrascht und froh
bei den ungewöhnlichen guten Aufnahme die meine Schriften
in England finden. Der König ist mir sehr gnädig und gut, ich /
hatte früher, so wie Øehlenschager und Heiberg etwas bestimmtes
von den Finanzen, der König hat aus eigenem Treibe
die Summe vergröß, bis 400 preusischer Thaler jährlich [ = 25.4., ] . - Ohne
Amt und Stellung, selbst wenn ich auch nicht mehr arbeiten
kann, steht die Zukunft doch nicht länger düster, des
Gelds wegen. Das Leben ist ein wunderfoll, schönes
Mährchen, mit Sonnenschein, Liedern und Freunden und
die Freunde sind nächst nur in Dänemark, aber in
Deutschland, in Schweden, weit weit herum. In
Kopenhagen ist Alles Fest und Freude, der König von Preußen
ist da und in der künftigen Woche kommen die Studenen
aus Norwegen und Schweden; es muß sehr lustig da sein,
ich konnte es doch nicht abwarten, die Buchenwälder blühten,
der Sommer war mit Storch und Schwalbe auf dem Lande,
und so fuhr ich erst nach Nÿsø, wo ich früher schöne
Tage mit Thorwaldsen verlebte, und jetzt nach Bregentved
bei den Finantsminister Moltke, den schönsten
Eigenthum im Lande, die ganze Anlage ist sehr verwandt
mit Belvedere bei Weimar, Alles ist großartig
und schön, und bei der liebenswürdigen Familie so heimishc
und gut; von hier gehe ich über die Inseln nach Jütland,
& 31 Juli wurde in Skanderburg das Monument der
verstorbenen König Fred: VI enthüllt, ich habe die Kantate
geschrieben und bin eingeladen; im September feiern der
Herzog und die Herzogin von Augustenburg Ihre silberne
Hochzeit, ich gehe dahin und wandere zurück nach Kopenhagen
so ist der Sommer, will's Gott, frisch und schön in einem
Vaterlande dahingeflogen und ich denke daran, daß ich
in November nach Deutschland komme, einen Monath verweile
ich in Oldenburg bei Eisendecker, gehe dann über
Berlin und Dresden, und wie ich hoffe, im Anfang 1846 /
sehen wir uns in Weimar. Grüßen Sie doch innig und herzlich
den lieben alten Kanzler Müller, die Frau von Groß und
alle edlen, geliebten Freunde. Durch die Zeitungen habe ich
erfahren, daß Eckermann ist nach Hannover gegangen und
als Vorleser bei dem Kronprinz angestellt; sagen Sie mir
doch, gelegenlich, die Adresse Ihres Bruders, ich weiß er
ist in Berlin, aber seine Adresse ist mir verloren gegangen,
sonst wollte ich schreiben. Bringen Sie mir in
freundliche Erinnerung bei der Grafinn Egloffstein.
Die Baroninn von Decken hat mir eine lange, mutterlichen
Brief zugeschrieben, und ich liebe [oversr: sehr] die alte, gute
Dame sehr. Erfreuen Sie mich mit einigen Zeilen, meine Adresse
ist immer an Konferenzrath Collin in Kopenhagen.
Leben Sie froh und Glücklich
ewig und immer Ihr
treu ergebener
H. C. Andersen.
N. Sch.
Hier ist noch Platz für ein Lied, und ich gebe eins als Morgengruß
Die Rose (übersetzt von H. Zeise)
Du lächelst an der Hecke grünen Pfaden,
Wie Engel lächelten dem ersten Paar;
Im Morgenthau sich rings die Blumen baden,
In deinen Kelch glänzt ein Tropfen klar.
#
Ist's ein Zähre, die ein Elf vergossen,
Weil Du so schön, und dennoch sterben mußt?
In Jugendfülle die Blätter halbgeschlossen,
So träumst Du an der Erde warmer Brust
#
[langs kanten:] Der Erbgroßherzog ist noch immer in Frankreich?
Was träumet dir? Dein Traum kennt keine Schmerzen
Lieb' ist dein Leben, deine Seele Duft
Dein Ganzes gleicht dem sel'gen Dichter Herzen,
Den Himmel siehts, wo Andere sehen Luft
H. C. Andersen
[Udskrift:] Hochwohlgeb. Herrn Beaulliu de Marconnay
Kammerherre und Referendar
bei S. H. d. Großherzog
zu Sachsen Weimar Eisenn[ach]
[med anden skrift:] ug, Orthografi: gx