Copenhagen, 24. Jänner 1861.
Wohlgeboren
Herrn Mahler G. Amberger in Basel.
Adresse: dem Buchhandler Amberger.
Lieber, theurer Freund!
Lange und sehnsuchtsvoll habe ich auf
einen Brief von Ihnen gewartet,
beinahe drei Monate, seit meines
letzten Schreibens sind hingeflogen,
und noch kein Wort; ich fing an
ängstlich zu werden, fürchtete,
daß Sie krank wären, und dachte daran,
ohne weiteres an die liebe Frau Doctorinn
Brenner zu schreiben. Vor kaum
vierzehn Tage kam ich vom Lande
und zu meiner Freude und Uberraschung
erhielt ich eben Brief von der Frau
Doctorinn und als liebe Beilage,
Ihr Schreiben und das Bild von der
Schillers Felsen bei Brunnen. Ich
danke Ihnen! Sie haben mich unendlich
erfreut. Obschon es sehr lange /
dauerte bis ich Nachrichten von
Ihnen erhielt kam ein Zweifel
an Ihre Freundschaft und Theilnahme
für mich, aber ein sichtbares Zeichen
ist immer doch mehr. Jetzt gebe
ich ein Brieflein auch für die
vortreffliche Frau Doctorinn, ich lege
es hier bei [] und weil Sie, theurer
Freund, auch diesen Brief zum Lesen
bekommen, erzähle ich dort, das
Reisen und Treiben bis ich eigentlich
erst jetzt im neuen Jahre,
zu Hause kam, und eine feste Wohnung
habe. Auf Reisen diesen Sommer,
habe ich, mit Ausnahme
eines kleinen Märchen «Der Schmetterling»
gar Nichts geschrieben, aber
seit ich nach Dänemark kam, strömt
und sprudelt die Quelle der Poesie;
ich habe schon sechs neue Märchen
und Historien geschrieben; eins, "Die
Zukunfts Poesie", spricht besonders an; /
das Büchlein kommt schon Anfang
Marz heraus, dänisch, und in Leipzig
denkt mein deutscher Buchhändler
eine complette Ausgabe aller
meiner Historien und Märchen,
ohngefähr 108 in Alles, Mitte Märtz
herauszugeben; ich habe ihm auch
diese neuesten versprochen, damit
der Samlung recht vollständig
werden kann und ihm den Auftrag
gegeben Ihnen, lieber Amberger,
so bald möglich, ein Exemplar zu
senden. Sie auch, schreiben Sie, sind
recht fleißig gewesen, wie schön,
welche Freude für mich, wenn Sie
viel Schönes leisten und wahre
Erkennung erhalten. Schreiben
Sie mir Ihre Pläne für den künftigen
Sommer. Denken Sie noch daran
nach Spanien zu gehen? Wann
und wo! Wie lange?. Schreiben
Sie mir wenn Sie können,
recht genau! Der Herr Gott weiß,
wie Gesundheit, Verhältnisse /
und die Zeitbewegungen, mir
erlauben werden, hinaus zu fliegen;
am liebsten ging nach Italien; aber auch, wenn es möglich
wäre, nach Spanien. Ich bin
nicht heiter, diesen Winter, es
druckt mich was, aber die Quelle
der Dichtung, Gott sei gelobt,
sprudelt noch jugendlich frisch und
voll! Grüßen Sie Ihre theure
Frau Mutter, auch die Freunde in Brunnen,
und Frau Ramin am Zürichersee.
Aus Stuttgart habe ich von
Hoffmanns, bei Neujahr, liebe Briefe,
Bücher und eine schöne brodirte
Schreibmappe von den jungen Damen
erhalten. Wie sind die Menschen
gut, die Welt schön, mag es nur so bleiben!
Leben Sie wohl, leben Sie glücklich. Ihr treu ergebener
H.C. Andersen.
Dem Mahler Amberger in Basel.