Die lebendige Welt der leblosen Gegenstände

Sehr geehrte Damen und Herren,
Sicher haben Sie heute Kaffee oder Tee getrunken, aber haben Sie sich auch gefragt, was sich dabei die Tasse denkt, aus der Sie trinken? Vielleicht ist sie ganz verbittert, weil sie die Hoffnung hegte, an einem historisch wichtigen Treffen serviert zu werden. Oder wurde sie in einer großen Serie in Hongkong produziert und hat nur eine winzige Seele, die sich keine existentiellen Fragen stellt? Obwohl wir uns hier zu Ehre von H. C. Andersen versammelt haben, hat sich kaum jemand diese Frage gestellt. Unser Jahrhundert ist nicht "gegenständefreundlich", obwohl Industrie noch nie so viele verschiedene Gebrauchsgegenstände produziert hat und uns die Werbung fast Tag und Nacht überzeugt, daß wir ohne sie nicht leben können. Wir haben etwa drei Viertel der Welt mit ausgedienten Dingen verschmutzt und ihretwegen ein Loch in die Atmosphäre gebohrt und dennoch sind sie für uns ohne Wert. Wir gehen mit ihnen um, als ob sie keine Seele hätten, und wir werfen sie ohne Zögern weg.

Gebrauchsgegenstände sind nur scheinbar leblos, denn eine ganze Reihe von Schöpfern hat sie durch ihre einfallsreichen Ideen zum Leben erweckt. Zunächst war es der Praktiker, der herausgefunden hat, wie man sich mit ihnen die alltägliche Arbeit erleichtern könnte, ihm folgten viele mit Verbesserungen und Korrekturen, und so entwickelten sich die Gegenstände wie jedes lebendige Wesen. Ein Teil ihres Lebens hat auch der Unternehmungslustige geprägt, der auf die Idee gekommen ist, mit ihnen Handel zu treiben und sie in die weite Welt versandt hat. Aber die Welt besteht nicht nur aus nüchternen Menschensinnen und darum schuf einen wichtigen Teil ihres Lebens auch der Schöngeist, der sie mit Phantasie verziert und verschönert hat. Er ist auch derjenige, der den Dingen die Unsterblichkeit gesichert hat, das heißt Platz in der Sammlung eines Museums oder eines Liebhabers, Nummer im Katalog. Und gerade dieser Schöpfer hat ihren Lebenslauf beeinflußt, ihr Dasein bei der Person, die sie ausgewählt und benutzt hat. Sicher haben die Dinge ein ganz anderes Schicksal bei jemandem, der seinen Tee aus einer geblumten Tasse hinter Spitzengardinen trinkt, als bei dem, der seine gespitzten Bleistifte hinter einem gardinenlosen Fenster anordnet.

Die kleine zisellierte Schere auf dem Glasregal im Bad ist natürlich ein altes Gerümpel. Ihre verrostete Klinge schneidet schon lange nicht mehr, aber sie ist noch immer fähig einen längst vergangenen Sonntagsmorgen herbeizuzaubern, wie auch ein entzücktes Mädchen und einen fröhlichen Vater, die auch nirgendwo mehr zu finden sind. Aber beim Anblick der Schere tauchen sie wieder auf, der Vater schneidet seinen Schnurrbart damit und singt ein Lied über die Soldaten in roten Röcken, die nur Bohnen zu essen hatten, und auch die Soldaten tauchen auf und marschieren durch das Bad. Die Schere hat eben die gleiche Gabe wie die alte Strassenlaterne:

Nun erfrische ich deinen Verstandkasten, so daß du klar und deutlich dich nicht allein dessen entsinnen kannst, was du gesehen und gehört hast, sondern wenn etwas in deiner Gegenwart erzählt oder gelesen wird, so sollst du hellsehend sein, daß du alles auch siehst.

H. C. Andersen war der erste, der in der Literatur die Dinge, die sich der Mensch zum Nutzen und zum Spiel anfertigt, als lebendige Wesen beschrieb. Er ist imstande eine enge Tischlade oder einen dunklen Winkel einer schlampigen Krämerei in den weiten Weltraum mit allen seinen komplizierten Beziehungen und Verbindungen zu verwandeln. Worin steckt seine Kunst und sein Zauber? Was ist es, was sich ein über das Märchen entzücktes Kind als seine eigenen Weltkenntnisse einprägt? Und zwar besser als ihm das seine Eltern, die Schule oder der Religionsunterricht beibringen könnten? Woran liegt der Zauber der Märchen, daß dasselbe Kind bereits als Erwachsener in peinlichen Situationen und komplizierten Beziehungen plötzlich mit wohlwollendem Geschmunzel die Spielregel erkennt und sie als etwas Gutbekanntes annimmt?

Andersen könnten wir in mancher Sicht mit Dickens vergleichen. Die viktorianische Zeit mit ihren Lebensansichten und ihrer Doppelmoral ist schon längst in die Vergangenheit versunken, aber die Gestalten aus Dickens Büchern, beschrieben mit seiner milden Ironie, leben weiter, und über manche allgemeine menschliche Eigenschaft ist nichts Perfekteres geschrieben worden. Auch Andersen zeichnet menschliche Beziehungen mit einer psychologischen Hellsichtigkeit und mit wohlwollender Ironie, die kaum zu übertreffen ist. Er ist lustig aber peinlich genau immer dort, wo er über Selbsterkenntnisse eines Wesens schreibt. Bei der Schilderung der Zweierbeziehung vereinfacht er nie, er unterscheidet alle Feinheiten von widersprüchlichen Gefühlen und Mißverständnissen, die mit dem Charakter der Protagonisten oder mit äußeren Umständen bedingt sind. Für ein Kind ist es nicht schwer die Situation durchzuschauen, ein Erwachsener amüsiert sich köstlich, wenn er die Weltanschaung der Hauptpersonen, oder besser gesagt der "Hauptgegenstände", mit ihrem Zweck vergleicht. Natürlich ist die Kunst, auf Grund einer Beobachtung die alltägliche Wirklichkeit märchenhaft umzuformen, kennzeichnend für alle Andersens Märchen, aber wo Gegenstände beschrieben werden, ist das besonders klar und amüsant.

Mit jedem Kind wird die Welt neu geboren. Das neue Menschenwesen muß sich sein Weltbild schaffen, auch die innere Sicht der Beziehungen erfassen, andere Mentalitäten verstehen und nachfühlen, sich eine Meinung von sich selbst bilden. Der Weg zur Selbsterkenntnis wird von vielen Faktoren bestimmt - Temperament, Charakter, Erblichkeit, äußerliche Einflüsse und, wenn Sie wollen, die Sternzeichen, spielen eine Rolle. Es muß viel begriffen und einbezogen werden, und dabei spielt das Märchen eine wichtige Rolle. Es ist nicht nur ein Spielzeug oder ein angenehmes Schlafmittel. In jedem Märchen steckt ein Kern von Weisheit und wenn die Umstände noch so märchenhaft sind, bleibt Andersen bei der Schilderung des Details durchaus im Realen. Das Märchen ist eine Metapher für diese Welt und zwar in der Sprache, die das Kind versteht. Andersens Märchen mit ihren feinfühligen psychologischen Beobachtungen machen das Kind auf tausende von Kleinigkeiten aufmerksam, schulen seine Feinfühligkeit, schärfen seine Urteilskraft.

Der Spucknapf ist eine ziemlich unappetitliche Erfindung, die zum Glück schon längst aus unserer Welt verschwunden ist, aber seine Rolle ist noch heute völlig klar. Und welche Meinung hat ein Spucknapf über sich selbst?

Der Sandmann berührte mit seinem kleinen Zauberstabe alle Möbel in der Stube und sogleich fingen sie an zu plaudern. Allesamt sprachen von sich selbst mit der Ausnahme des Spucknapfes, der stumm da stand und sich darüber ärgerte, daß sie so eitel sein konnten von sich selbst zu reden, nur an sich selbst zu denken und durchaus keine Rücksicht auf den zu nehmen, der so bescheiden in der Ecke stand und sich bespucken ließ.

Natürlich ist der Spucknapf eine ehrliche Haut mit einem Zug von Selbstbedauer, was mit Rücksicht auf seinen Dienst ganz verständlich ist. Im Laufe der Jahren konnten wir feststellen, daß alle, die eine ähnliche Tätigkeit ausüben, auch eine ähnliche Ehrlichkeit sowie auch diesen Zug von Selbstbedauer haben. Dabei spielen Geschlecht, Alter und Beruf keine Rolle, in temperamentvollen Ländern kann das sogar der Regierungspräsident sein. Jedensfalls liegt die Metapher an der Hand und ist auch für ein extravertiertes Kind ganz verständlich.

Und wie köstlich selbstzufrieden ist der Flachs im gleichnamigen Märchen. Er soll noch so gerissen, gebrochen, gedörrt und gehechelt werden, seine Begeisterung findet kein Ende. Und seine Begeisterung wird nicht geringer, auch wenn er eine nicht gerade poetische Aufgabe bekommt.

Aus der Leinwand wurden zwölf Stück Wäsche von der Art, die man nicht gern nennt, aber alle Menschen haben müssen ... "Ei! Sieh! Jetzt ist etwas aus mir geworden! Das war meine Bestimmung! Das ist ja herrlich, nun schaffe ich Nutzen auf der Welt! ... Was für ein erstaunliches Glück!"

Jede weitere Veränderung nimmt er mit guter Laune hin:

Da kommt eine herrliche Überraschung! Sie wurden Papier und feiner als zuvor. Das Lied ist nie aus und das ist das Schönste von allem. Das konnten die Kinder weder hören noch verstehen und das sollten sie auch nicht, denn die Kinder brauchen nicht alles zu wissen.

Das Märchen klingt also ironisch aus, denn es ist deutlich zu spüren, das der alte Zauberer Andersen auf der Seite der Kinder steht und ihnen das Recht gibt manches zu wissen und zu verstehen. Nicht viele werden mit einem so gutmütigen Charakter geboren wie der Flachs, aber obwohl wir nicht sein angenehmes Naturell haben, verstehen wir ihn gut und dabei ist es nicht wichtig, ob wir bewundern oder uns ein bißchen überlegen fühlen. Wir müssen zugeben, daß er eine echte Persönlichkeit ist. Es ist wichtig, daß das Kind durch das Märchen das Feingefühl gewinnt, sein Bewußtsein weitet und zwischen Gerechtigkeit und Rechthaberei unterscheiden kann. Denn es liegt ein großer Unterschied zwischen dem Flachs und der Stopfnadel vor. Auch diese ist immerfort glücklich, aber nicht aus demselben Grund wie der Flachs. Es beglückt sie nicht, daß sie von Nutzen ist, das Gefühl der Überlegenheit macht sie glücklich. Sie stopft die alten Pantoffel der Köchin und zieht einen Faden nach sich, aber es ist nicht die Arbeit, die ihr Wert beilegt, sondern der Faden: "Seht ihr! Ich komme mit Gefolge!" Sie zweifelt nicht an ihren Fähigkeiten, obwohl sie bei der Arbeit bricht, sie ist eben "zu fein für diese Welt". Auch im Rinnstein verliert sie nicht ihre gute Meinung über sich selbst: "Sie ist Schwarz und dünn geworden, darum glaubte sie, daß sie noch feiner sei ...". Ein Lastwagen fährt über sie hin und sie geht für ewig verloren. Das erfreut uns alle, die keine so hohe Meinung von uns selbst haben und auch nicht mit der fröhlichen Natur von Flachs geboren sind. Die meisten von uns sind strapazfähig wie Schweinsleder und vertreten auch seine Meinung: "Vergoldung vergeht, aber Schweinsleder besteht."

Eine Zweierbeziehung ist ein kompliziertes und interessantes Verfahren, ein unerschöpfliches Austausch zwischen Zweien. Sie verläuft nach ihren Gesetzen mit mathematischer Genauigkeit, aber ihr Entwicklungsgang wird von so vielen Faktoren bestimmt, daß da sogar eine so phantasievolle Wissenschaft wie Mathematik nachgeben muß. Was ist es, was in uns Sympathie oder Abneigung hervorruft? Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie die Arabesken der Wolken auf dem Himmel.

Eine kleinkarierte Seele zieht oft eine andere kleinkarierte Seele an:

"Ja, da verlebte ich meine Jugend in einer stillen Familie: die Möbel wurden geputzt, Fußböden gescheuert und alle vierzehn Tage wurden neue Vorhänge aufgehängt." "Wie gut Sie erzählen," sagte der Haarbesen. "Man kann gleich hören, daß ein Frauenzimmer erzählt, es geht etwas Reines hindurch."

Aber in diesem Haarbesen steckt nicht nur naive Weiblichkeit, ein bißchen Koketterie und Schadenfreude passen auch ganz gut zu den kleinkarierten Seelen.

Der Haarbesen zog grüne Petersilie aus dem Loch und bekränzte den Topf, denn er wußte, daß das die andern ärgern würde.

Und etwas Berechnung ist auch vorhanden: "Bekränze ich ihn heute, so bekränzt er mich morgen." - Der Haarbesen ist ein kleinlicher Charakter, er ist eben ein alltägliches Ding für den alltäglichen Bedarf.

Aber nicht nur eine ähnliche Denkweise verbindet zwei Wesen, es gibt auch andere Impulse:

"Nun will ich tanzen," sagte die Feuerzange und tanzte. Ja, Gott bewahre uns, wie konnte sie ein Bein in die Höhe strecken! Der alte Stuhlbezug dort im Winkel platzte, als er sie sah.

Und in einer ähnlichen Gefahr befinden sich alle alten Stuhlbezüge, wenn sie lustige Mädchen zu sehr bewundern. Auch einem jüngeren Casanova kann es nicht immer glatt gehen. Der feine Halskragen kann noch so schmeicheln, oft findet er keine freundliche Aufnahme. Er macht dem Strumpfband Hof; im nächsten Augenblick widmet er seine Aufmerksamkeit einer anderen Dame, die ihm über den Weg läuft. Aber was für ein Mißverständnis! Die Dame ist nicht um ein Haar kokett, sie hat etwas ganz anderes im Kopf.

"Liebe Frau," sagte der Halskragen, "liebe Frau Witwe! Mir wird es ganz warm! Ich werde ein anderer, ich komme aus den Falten. Sie brennen mir ein Loch ein! uh! Ich halte um sie an!" "Laps!" sagte das Platteisen und ging stolz über den Halskragen hin, denn es bildete sich ein, daß es ein Dampfkessel sei.

Aus der Geschichte ist klar zu entnehmen, daß der Partner (oder das Liebesobjekt) ganz andere Interessen haben kann und auch warum Casanovas lieber eine große Kurve um Feministinnen machen. Der Halskragen endet, wo viele Geschichten alter Charmeure oft enden: im Kasten beim Papiermüller.

Ein Casanova ist kein sehr komplizierter Charakter, er hat nur einen Wunsch, dem er schnurgerade nachgeht, und es ist sehr leicht ihn durchzuschauen. Eine kompliziertere Zweierbeziehung wird von mehreren Umständen gesteuert und entwickelt sich oft nicht glatt. Es gibt zahlreiche Gründe dafür wie z.B. Scheu, Zurückhaltung, Koketterie, also Hindernisse von rein innerlichen Art, und nur wenige von uns sind vorurteilsfrei was unsere Familien betrifft. Der Ball und der Kreisel gehörten beide einer guten Familie an - Saffianleder und Mahagoniholz - aber ihre Liebe geht trotzdem schief.

"Ich bin mit einer Schwalbe so gut wie versprochen. Jedesmal wenn ich in die Luft fliege, steckt sie den Kopf zum Neste heraus und fragt: "Wollen Sie?" und ich habe innerlich ja gesagt und das ist so gut wie eine halbe Verlobung."

Wegen dieser innerlichen Hindernisse hat der Ball weder dem Kreisel noch der Schwalbe ja gesagt, und so wurde er von ihnen nicht gesucht, als er in der Wasserrinne geblieben ist. Der Kreisel liebte ihn zwar immer mehr, aber was half dem Ball diese große Liebe? Er lag in der Dachrinne und ist ganz ausgequollen. So etwas passiert oft einer Kokette.

"Das Liebespaar" ist eine traurige Geschichte, aber alles steht logisch und fest. Von Hauptpersonen aus mußte es dazu kommen, und so ist es auch passiert. Bei den Liebesgeschichten zwischen Gegenständen fällt uns ein, daß es nicht unbedingt eine Liebe zwischen einem er und einer sie ist, die Gründung einer Familie ist also für die Liebe nicht wesentlich, es gibt kein "und dann lebten sie glücklich und hatten viele Kinder" Ende. Was geschildert wird, sind seelische Eigenschaften, die sich anziehen oder abstoßen, Charaktere, die ihr Schicksal in sich tragen. Die Liebe ist ein geistiger Zustand.

Noch trauriger als "Das Liebespaar" ist die Liebesgeschichte von dem standhaften Zinnsoldaten und der kleinen Ballettänzerin aus Papier. Die beiden haben nur ein Bein und sind standhaft, obwohl ihnen sonderbare Dinge passieren. Kein Wort fällt zwischen ihnen, aber sie verstehen sich vollkommen.

Und sie verbrennen, ohne immer noch ein Wort gesagt zu haben, in derselben Flamme. Die Folgerung, die die Kinder aus diesen Liebesgeschichten ziehen können: je weniger Gefühle desto mehr Worte und Mißverständnisse.

Hatten die Leute in längst vergangen Zeiten auch das Gefühl, daß die Welt uralt ist, ihre Gefühle aber neu und frisch? Die Leute des Atomzeitalters mögen sich nicht zu sehr von alten Ägyptern unterscheiden, und unsere Gefühle und Vorurteile sind wahrscheinlich alt wie die Welt selbst. Alles was anders und fremd ist, ruft in uns Angst und Erregung hervor, hinter normalen Umständen lauert das bestürzende Phänomen: Fremdenhaß. Irrational aber tief verankert. Je weniger Persönlichkeit in einer Person steckt desto mehr Vorurteile dieser Art könnte sie haben. Alles sollte sicher und nach bekannten Regeln ablaufen. Ein eiserner Topf war ein allgemein benutzter und überall angewandter Gebrauchsgegenstand und seine Weltanschauung ist genau so allgemein, überall vorhanden und brauchbar:

...so lebten wir innerhalb der Tür. Unser einziger Neuigkeitsbote war der Marktkorb, aber der spricht zu unruhig über die Regierung und das Volk. Ja, neulich war da ein alter Topf, der vor Schreck darüber niederfiel und sich in Stücke schlug ...

Was ist Vaterlandsliebe und was ist nur getarnte Angst vor jemandem, der tüchtiger ist und uns dadurch bedroht? Im Namen der sogenannten Vaterlandsliebe wurden seit je Menschenrechte verletzt. Andersens Märchen sind nicht grausam - kein Vergleich mit der Grausamkeit, die das Fernsehen jeden Tag in unser Wohnzimmer ausstrahlt, aber eine Quelle der Grausamkeit wäre auch die Ansicht, die von dem Teekessel gepredigt wird:

" ... draußen hängt eine Nachtigall im Käfig, die kann singen ..." sagte eine mit Tinte befleckte Feder, die sozusagen die Stellung der Intellektuellen vertritt. Aber der Teekessel, der im Gegensatz zu der Feder für praktische und nützliche Dinge da ist, kocht über: "Ich finde das höchst unpassend, daß ein fremder Vogel gehört werden soll! Ist das Vaterlandsliebe?"

Diese Stellungnahme ist die Keimzelle verschiedener Abwege, sogar Kriege und Tötung der Zivilbevölkerung sind damit zu entschuldigen. Es ist nicht sehr schwer öffentliche Meinung zu gestalten, man muß nur lange genug reden, hat Andersen schon vor 100 Jahren gewußt. Diese Gelegenheit hatte auch die Tonne, als sie das Mundwerk der Hausfrau bekam. Sie hat alle Zeitungen von einer Seite ausgesprochen, und dann kehrte sie um und wurde durch das viele Reden für alle maßgebend.

... und worüber die Mehrzahl einig ist, das muß man anerkennen.

Natürlich, das alles sind Kindermärchen, aber in diesem nicht zu dicken Märchenbuch steckt die ganze Welt in ihrer Vielfalt - lustig, poetisch, tragisch, kleinlich, tolerant oder schadenfroh und berauschend schön wie das wahre Leben selbst. Diese Märchen erregen Neugier, Skepsis und Toleranz, was sicher wertvolle menschliche Eigenschaften sind. Die Märchen zwingen uns nachzudenken wie und warum. Und wenn man versucht, die Stellung der anderen zu verstehen, wird man kaum aggressiv gegen sie. Und nicht nur das, wir können auch unsere Anschauung besser zur Geltung bringen, uns in der Welt zu Hause fühlen. Darum fragen wir uns ruhig, was sich die kleine Tasse denkt, aus der wir Tee oder Kaffee getrunken haben.


Bibliografisk information om teksten:

Kovač, Polonca: "Die lebendige Welt der leblosen Gegenstände", pp. 295-302 i Johan de Mylius, Aage Jørgensen & Viggo Hjørnager Pedersen (red.): Andersen og Verden. Indlæg fra den første internationale H. C. Andersen-konference, 25.-31. august 1991. Udgivet af H. C. Andersen-Centret, Odense Universitet. Odense Universitetsforlag, Odense 1993.