Dato: 14. august 1844
Fra: H.C. Andersen   Til: Conrad Rantzau-Breitenburg
Sprog: tysk.

Glorup, den 14. August 1844

Euer Exzellenz

sind nun auf Föhr bei dem lieben Königspaar und, wie ich hOffe, frisch und froh. Ich bin aus dem Ausland zurückgekehrt und traf gestern hier in Glorup ein. ... Mein Aufenthalt in Deutschland ist diesmal der glücklichste gewesen, den ich bislang erfahren habe. Überall hat man sich um die Wette bemüht, mir Aufmerksamkeit und Liebe zu erweisen, Das hat meinem Gemüt so gut getan, ich habe recht gefühlt, wie gut der liebe Gott doch zu mir ist. Es war fast immer mit Wehmut, daß ich jeden Ort verlassen habe, wo ich einige Tage zugebracht hatte. Euer Exzellenz werden meine Natur nicht mißverstehen, wenn ich mich ausspreche, wenn ich berichte, wie gut ich es gehabt habe, wie gesegnet die Menschen zu mir gewesen sind. Gleich als ich nach Weimar kam, wurde ich von Kammerherrn Beaulieu eingeladen, bei ihm zu wohnen, solange ich in der Stadt bleiben wollte; so hatte ich gleich ein gemütliches Zuhause in der fremden Stadt. Der Großherzog [Carl Friedrieh] ließ mich für den nächsten Abend bitten, später war ich dort an der Tafel und traf eine Gnade, eine Freundlichkeit, die mir unvergeßlieh bleiben werden. Die Großherzogin [Maria Paulowna] scheint eine sehr begabte Dame zu sein; wir sprachen viel über Dänemark. Schade, daß sie nicht gut hört, doch glaube ich, daß sie mich wohl verstanden hat. Sie bat mich, daran zu denken, daß ich in Weimar wahre Freunde hätte, und daß ich nicht vergessen solle, diesen Flecken zu besuchen, sooft ich nach Deutschland käme. Vor allem gefiel mir jedoch der junge Erbherzog [Carl Alexander], ein hochst begabter, liebenswürdiger Junger Fürst. Ich war ein paarmal bei ihm und seiner gesegneten Gemahlin [Sophie], einer Tochter des Königs von Holland. Er hat meine ganze Liebe gewonnen. Wäre er nur kein Prinz, dann sollte er mein Freund sein, das, sagte er mir, werde er mir immer bleiben, aber es ist doch eine große Klüft in den Lebensverhaltnissen zwischen uns. Er hat mir versprochen, mir sein und seiner Gemahlin Porträt zu sehieken. Bei der Tafel hatte ich die Ehre, an ihrer Seite zu sitzen. An einem Abend lasen wir laut, der Erbherzog, [Goethes Helfer] Eckermann, ich -. Wir gingen im Garten spazieren. Es fand ein Volksfest statt; die Bauern tanzten unter einer blühenden Linde, kletterten auf einen Mat de cocagne. Der Erbherzog führte mich selbst im Garten umher, zeigte mir ein paar Stellen, die durch Goethe, Schiller und Wieland interessant geworden sind. - Die Tränen traten mir in die Augen, als ich zum letzten Mal die Hand des jungen Prinzen drückte. Gott erfreue und segne ihn; er ist mir lieb wie meine Liebsten hier auf Erden. - Der alte Kanzler Müller, wahrscheinlich im Augenblick der bedeutendste Mann in Weimar, führte mich in die Fürstengruft zu Goethes und Schillers Sargen hinunter; der edle alte Mann war unermüdlieh, mir zu Diensten zu sein. Ein Festmahl, zu dem ich eingeladen war, wechselte mit dem andern ab. Über Jena ging ich nach Dresden, wo ich gleich vom Theaterintendanten von Lüttichau ein Billett für die Direktionsloge während meines ganzen Aufenthalts zugeschickt bekam. Hier und in Weimar wird nun mein Mulatte gegeben werden. Einladung folgte auf Einladung. Ich machte die erfreuliche Erfahrung, daß ich vielleicht der am meisten gelesene von allen dänischen Autoren bin und daß meine Schriften ins Volk gedrungen sind, ja sogar viel mehr als in Dänemark, wo man einen eigenen Hang hat, sich in jeder Richtung lieber bei der Schattenseite aufzuhalten als bei der sonnenbeschienenen. Ein Beispiel von vielen will ich anführen. Der reiche Gutsbesitzer [Friedrich Anton] Serre, der vielleicht den bedeutendsten Marmorsteinbruch in 5achsen besitzt und so zu den vermögendsten Männern gehört, hat eine sehr vortreffliche, edle Frau.

Vor einigen Jahren las sie meinen Roman Nur ein Geiger, der einen so tiefen Eindruck auf sie machte, daß sie in ihrem Herzen gelobte, sich des ersten armen Knaben von großem musikalischen Talent, der ihr begegne, anzunehmen und ihm in der Welt voranzuhelfen. Ein paar Tage später hört sie zufällig, es gebe da zwei arme Knaben, die herumzögen und in den Hofen spielten, beide sehr begabt, aber Kinder armer Leute. Sie erinnerte sich an ihr Gelübde, sprach mit ihrem Mann darüber, nahm beide Kinder zu sich und ließ sie gut erziehen. Der eine ist schon in das Musik-Konservatorium in Leipzig aufgenommen; der andere lebt bei der Familie Serre, heißt Heinrich Riecius und wird sicher ein ausgezeiehneter Violinist. Ich war acht Tage draußen auf Serres Landsitz [Maxen], und der kleine Junge, an dessen Glück ich, wie man sagte, mitgewirkt hatte, wurde mir vorgestellt und mußte mehrere Stücke für mich spielen. Erzählen Sie bei Gelegenheit unserer herzensguten Königin diesen kleinen Zug; ich glaube, er wird bei ihr Anklang finden. In den acht Tagen bei Serres sah ich die meisten Notabilitaten aus Dresden. Die mich am meisten interessierte, war die Gräfin [und Schriftstellerin Ida] Hahn-Hahn, deren Persönliehkeit mich nach ihren Schriften nicht angesproehen hatte. Ich hatte die Vorstellung, sie sei anmaßend, adelsstolz und unweiblich. Nun kenne ieh sie und finde sie liebenswürdig, weiblich, höchst gesegnet. Unter den vielen Gedichten, die ich bekommen habe, sind auch vier Zeilen von ihr, die wie Euer Exzellenz hören werden, überaus hübsch sind.

Andersen

Solch ein Gewimmel von Elfen und Feen,

Blumen und Genien in fröhlichem Seherz;

Aber darüber - viel geistiges Wehen,

Aber darunter - ein trauriges Herz. -

In Berlin traf ich am Abend vor dem abscheulichen Mordanschlag [von Ludwig Tschech] auf den König [Friedrich Wilhelm IV.] ein. Die Teilnahme in der Stadt war sehr groß, alle in hohem Grade erbittert auf den Mörder. leh verbraehte gerade am folgenden Abend einige Stunden beim Minister Savigny, wo ich den Prinzen von Württemberg und mehrere dem Königshaus Nahestehende traf, und hörte dadurch genau alle Umstände. Als ich nach Hause ging, wurde ich daher freudig bewegt, als ich die Häuser "Unter den Linden" illuminiert sah aus Freude, daß der König gerettet war. [Alexander von] Humboldt beehrte mich mit einem Besuch, ebenso der geniale [Giacomo] Meyerbeer, für den ich wohl mein Märchen Die kleine Seejungfrau als Oper behandle. Er erzählte mir, daß er [als Intendant] mit der schwedischen Sängerin Jenny Lind in Verhandlungen stehe und hoffe, sie für die Oper in Berlin zu gewinnen. Er war, wie ich es schon immer gewesen bin, entzückt von ihrem unvergleichliehen Talent. In Savignys Haus machte ich die Bekanntschaft der originellen, erstaunlichen Bettine Arnim. Sie ist ein höchst eigentümliches Frauenzimmer, von Gott reich begabt. Ich hatte auch hier das seltene Glück, ihr zu gefallen, und man sagt, das ist etwas Ungewöhnliches. Sie schenkte mir sogar ihr letztes Werk: Clemens Brentanos Frühlingskranz. O, ich hatte Euer Exzellenz unendlieh viel zu erzählen von den vielen interessanten Persönlichkeiten, die mir auf diesem kleinen Ausflug herzlich entgegengekommen sind, aber das läß sich auf dem Papier nicht recht gruppieren. - Von meinem Büchlein Bilderbuch ohne Bilder sind, in der deutschen Ausgabe, mehrere tausend Exemplare verkauft, und eine neue Auflage erschienen. Von meinen Märchen sind nicht weniger als vier versehiedene Ausgaben angekündigt. Der Dichter [Ludwig] Tieck, den ich in Potsdam besuchte, beklagte, daß der König von Preußen und die Königin abgereist seien, da sie beide große Gnade fur mich hatten und sich beide neulich lange mit ihm über meine Persönlichkeit und mein Leben unterhalten hatten. Sie hätten beide meinen Roman Nur ein Geiger gelesen und seien mir deswegen gnädig und gut, ich solle ihnen vorgestellt werden, - aber nun muß ich warten, bis ich wieder einmal nach Berlin komme. Die Prinzessinnen von Preußen, die Tochter des Großherzogs von Weimar, waren auch fort, die hoffe ich dann also auch kennenzulernen; vor allem die eine soll höchst begabt sein. Über Stettin kam ich vorigen Freitag mit Grafin Sehulin und ihren beiden Töchtern nach einer sehr harten Seefahrt nach Kopenhagen. Wir trafen nämlich am Abend gegen 7 Uhr ein statt am Vormittag um 10. Bei Collins, in meinem eigentliehen Zuhause, traf ich alles beim alten an. Vorgestern setzte ich mich in die Postkutsche und fuhr nach Fünen, wo ich mindestens 14 Tage bleibe und mein neues Stück Die Glücksblume durchsehe, das ich Euer Exzellenz vorzulesen die Ehre hatte und in dem ich einige Änderungen vornehmen muß, wenn ich es auf die Bühne haben will. - Mein Gedanke fliegt mit diesem Brief nach Föhr. Euer Exzellenz wissen, wie dankbar und ergeben ich Ihnen bin. Danke fur alles Gute! - Wollen Sie meinen Namen bei Seiner Majestät dem König und der Königin in gnädigste Erinnerung bringen? Es gibt wohl nur wenige, die im Herzen mehr als ich das Gesegnete an beiden Majestäten schätzen und lieben; leider stehe ich ihnen so sehr fern und bleibe ihnen immer ein Fremder. Oft betrübt es mich, dieser Gedanke, daß meine Persönlichkeit wohl nicht angenehm ist, wo ich es so gern wünschte. ... Leben Sie nun wohl! Dank und Segen meines Herzens.

Ihr innig ergebener, dankbarer

H.C.Andersen

Tekst fra: Se tilknyttet bibliografipost