Dato: 20. juni 1843
Fra: Johanna Auguste Buchner   Til: Karoline Felsing
Sprog: tysk.

Darmstadt, den 20. Juni 1843

Liebe Karoline

[...] Dem Schücking folgte der dänische Dichter Andersen. Er kam gerade vor Tisch, und so hatten die Kinder das große Glück, den bewunderten Märchenerzähler unter sich zu sehen. In Andersen ist eine sonderbare und rührende Mischung vonEitelkeit und kindlicher Unbeholfenheit. Sein schlichtes, glattes Haar fällt ihm bis auf den Hemdkragen, der schwarze, engbrüstige Rock läßt ihn noch schmaler erscheinen, und man weiß nicht recht, - träumt er, oder ist er linkisch-ungeschickt. Er spricht nur von sich, seinen Plänen, seinen Erfolgen. Unter anderem erzählte er, wie er seine Geschichte von dem kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzern geschrieben, da habe ihn die Rührung so übermannt, daß er in heftiges Weinen ausgebrochen sei. "Darüber kam die Magt mit der brennenden Lampe ins Zimmer hinein, wo ich im Dunkel saß, - und da ich mich meiner Tränen schämte, sprang ich rasch auf und blies die Lampe aus."

Abends, als ich nach meiner Gwewohnheit, noch einmal durch die Schlafzimmer meiner Kinder ging, fand ich Marie wach in ihrem Bett. "Mutterle, warum hat denn der Andersennicht das arme kliene Mädchen bei der Hand gefaßt und mit in sein Haus genommen, wenn er wuße, daß es so ganz, ganz verlassen ar?" fragte sie. Was sollte ich sagen? "Ich glaube, der Dichter Andersen hat das kleine Mädchen gar nicht gesehen, sonst hätte er es sicher getan." - "Aber er muß es doch gesehen haben, sonst könnte er ja nicht davon erzählen." - "Ein Dichter weiß vieles, was er nicht sieht." - "Woher weiß er es denn?" - "Er fühlt es in seinem Herzen. Und dann fängt er an, darüber nachzudenken und schreibt es auf für die Menschen." - "Und die Menschen, wenn sie solch ein traurriges Kind sehen, so sollen sie ihm helfen, - meint das der Dichter Andersen, Mutterle?" - "Ja, Kindel, und nun schlaf' auch recht schön." - "Mutter, wenn er es in seinem Herzen fühlt, was alles geschieht, so hat ihm das wohl der liebe Gott gesagt? Der liebe Gott erzählt es ihm, und er erzählt es weiter." -

Nu, liebe Karoline, kannst Du Dir eine schönere und richtigere Auslegung des Dichtertums denken, als die von meiner Kleinen? Ich war ganz gerührt davon. [...]

Innige Grüße von Deiner Auguste Buchner.

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