Dato: 2. december 1826
Fra: Ludolph Schley   Til: H.C. Andersen
Sprog: tysk.

Libau d 2 Dezember 1826.

Mein lieber, junger Freund!

Mit doppeltem Vergnügen benutze ich diese freie Stunde um von Ihrer freundlichen Erlaubniß, an Sie schreiben zu dürfen, Gebrauch zu machen. Ja das Ferne, geschieden von Freunden und Verwandten, getrennt von allen, die uns unser selbst willen, lieben und werthhalten, erkennt man erst recht wie viel Gutes und Großes in den schriftlichen Mittheilungen liegt. An die neue, fremde, Umgebung schließt sich nur nach und nach die Seele, gewöhnt sich nur zaudernd das Herz, denn bey aller Klugheit ist es doch immer ungerecht genug, Vergleichungen anstellen zu wollen, und von den neuen Bekanntschaften gleich dieselbe Zuneigung, Liebe oder Anhänglichkeit zu fordern, welche seine alten, die es vielleicht in manchen Lagen bewährt finden, ihm schenkten. Er denkt auch wohl nicht immer daran, daß Liebe erst erworben seyn will, und ist lieblos genug, sich verletzt oder zurückgesetzt zu fühlen, weil man ihm nicht gleich den Platz einräumt oder die Verhältniße öffnete, zu denen er sonst zutrit [Zutritt] fand. Da entstehen dann Mißfalligkeiten, üble Launen trübe Stunden und für diese giebt es dann kein beßerer Wegschwemmungs Mittel, wie ein Brief indem man sein Treiben und Denken ausspricht. So ist mir dann auch jetzt, / denn abgesehen von einem augenblichlichen, unbehaglichen Gefühle des Alleinseyns, ist mir hier während meiner kurzen Anwesenheit, schon so manches widerwärtiges begegnet, daß wohl Ursache zum längeren Unmuthe da wäre, wenn ich es nicht machte wie die Pferde und noch mitunter recht tüchtig abschüttelte. So hat man mir, wie ich hier ankam, alle meine Bücher confiscirt, und nach Bitau - 26 Meilen von hier, gesendet. - "Bücher, so lautet der Buchstabe des Gesetzes, Bücher sind zur Einfuhr verboten, und ohne Ausnahme nahm man mir daher alles, was nur einem Buche ähnlich sah. Die meisten Bücher, die ich besitze, sind Geschenke von den Verfaßern, in allen stehen ihre Namen neben den Meinigen und es giebt unter ihnen kaum Eins, an das sich nicht die Erinnerung irgend einer frohen Stunde knüpft. Mein Herz was daher gewachsen an diesen Theil meinen Besitzthümer, und schmerzlich, sehr schmerzlich entbehre ich seinen Verlust zumal zu einer Zeit, in der ich der Zuflucht zu ihnen so sehr bedarf. Man hat mir einige Hoffnung gelaßen, ich könne möglicherweise ihn zurückerhalten, wenn ich mich directe an das GeneralGouvernement wände, diese Hoffnung ist aber sehr geringe, und wenig auf ihr zu bauen. Neben meinen Freunden, und meinen Büchern entbehre ich hier aber [tilføjet over linien: wo eine endlose Sandwüste die ganze Stadt umgiebt], auch noch einen großen Genuß, einen den Elseneur in so reichem Uebermaße hat, den einer schönen erhabenen Naturumgebung. Des Sängers Herz, - das werden Sie, mein lieber Freund, mir ja zugeben, und oft selbst empfinden haben, des Sängers Herz bedarf zuweilen einer Ruhe, die ihm das Leben und die Welt nicht zu bieten vermag, da flüchtet er sich dann gerne in den Schoß der Natur, die immer das treue Abbild seiner Seele ist, die immer mit demselben Blicke auf ihm zurückschaut mit dem er sie ansah, die sein Sehnen zur Busen wiegt, und sein Irren zur Wahrheit führt. Ja mein theurer Andersen, nur die Natur ist die wahre Quelle des Liedes, und je mehr sie eindrang in das Herz der Sänger, je / je höher steht er in den Reihen seiner Brüder. Der Naturlichste Sänger wird einer der Größte seyn - denn ein wahrer Wort ist wohl nicht leicht gesagt wie Tegnérs in seinem Abendmahlliede - ty att det stora är enkelt. [over linien: ett Barn kan fatta dess mening.] Danach ist ein Jugendleben der Dichter die Verzehrung nach dem, was ausser ihnen liegt gewöhnlich; in Klagen, die gerade ihnen Fremde seyn sollten, hauchen sie diese ersten [over linien: ohnmächtigen] Töne an, und mit dem Abendschleier der Wehmuth verhüllen sie das erste Entknospen ihrer Morgenröthe und stören sich selbst dadurch den reinsten Genuß des Jugendlebens - kommt man später von gleichem zurück, stimmt man die Saiten der Harfe seines Inneren harmonischer mit denen der Natur, dann ist das schwunghafte Gefühl über so viele schöne verlorene Zeit nicht das geringste Stachel von dem was aus dem Jugendleben übriggeblieben, Glücklich ist indessen noch immer wer keine andre in seinem Busen fühlt!

Da es nothwendig ist - die kalte herzlose Gesinnung der Menschen, der despotische Zwang der Regierung und die sklavische Furcht der Unterthanen gebieten es wenigstens - da es nothwendig ist, sich hier durchaus allein mit sich zu beschäftigen, sind meine Gedanken, mehr in [Norwegen rettet til:] Dänemark und Schweden wie hier, und meine Sehnsucht zurückzukehren wird täglich größer. Lange bleibe ich nicht hier; hier wo auf jeden freyen Gedanken - Sibirien auf jedes freie Wort die Knute [pisken] steht, hier gedeieht mein Ich nicht. [ulæseligt] heitiger Norden hat mich groß gesäugt mit seinem freien, selbst[ulæseligt] Ideen, ich bin zu sehr sein dankbarerer Sohn um in Außlande Wüsten seine Lehre und Grundsätze vergeßen zu wollen. Ich kehre daher wahrscheinlich bald zurück, vermuthlich mit dem ersten Frühlinge, und freue mich auch aus dem Grunde Elseneur wieder zu sehen, weil ich Sie, lieber Andersen dort weiß; wir haben uns eigentlich sehr wenig gesehen und getroffen, es thut noth, daß wir bekannter und vertreuter werden / Ich verspreche mir daneben vielen Genuß, von Ihrem reinpoetischen Gemüthe, und führe Ihnen dagegen in meinem Herzen zu allen Zeiten und zu allen Gelegenheiten einen zuverläßigen Boden für Ihr Anker. Laßen Sie indessen, wie hart es den poetischem Unabhängikeitsgefühle auch ankommen mag - für den Augenblick den Zweck Ihres Aufenthaltes in Elseneur, den eines anhaltend gründlichen Studiums der Wissenschaft nicht aus den Augen und bewahren Sie daneben das heilige Feuer des Gesanges mit postalischem Sinne, nur aus der Entsagung führt der Weg zum Heile! - - Und nun für diesmal, Adieu, Schreiben Sie mir / bald. Ihre Briefe sind mir immer sehr wilkommen und werden durch Consul Lindberg prompt befördert. Grüßen Sie Bagge und sey selbst viele male von Ihrem aufrichtigem Freunde Ludolph Schley.

Tekst fra: Markus Wagner (KB affoto 5677-80)